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1933-1945 Kleinwachau im Nationalsozialismus

14. Juli 1933

Die Nationalsozialisten verhängen das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und ermöglichen somit die zwangsweise Sterilisation. Auch in Kleinwachau muss man sich der Umsetzung des Erbgesundheitsgesetzes beugen. Die genaue Anzahl, der in Dresdner Krankenhäusern Zwangssterilisierten, lässt sich aufgrund fehlender Akten nicht mehr bestimmen. Anhand der Akten Kleinwachaus und der Akten der Frauenklinik Dresden Friedrichstadt sind 13 Sterilisationen nachweisbar.

1939

Ende Oktober 1939 formuliert Adolf Hitler den auf den 1. September zurückdatierten Ermächtigungserlass zur Durchführung des Euthanasieprogramms:

„Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“

Ein Arbeitsstab wird gebildet mit Sitz in Berlin, Tiergartenstraße 4. Danach erhält die gesamte Aktion die Geheimbezeichnung „T 4“.

Die „Aktion T 4“ wird vom Reichsinnenministerium geleitet, das im Interesse der Geheimhaltung ein Netz getarnter Organisationen aufzieht. So ist die „Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten“ (RAG) mit der Erfassung der Opfer betraut. Der „Gemeinnützigen Stiftung für Anstaltspflege“ wird die Tötung übertragen; daneben regelt sie auch die vermögensrechtlichen Aufgaben.  Die „Gemeinnützige Krankentransport GmbH“ (GEKRAT) überführt in speziellen Fahrzeugen (Busse mit verhangenen oder angestrichenen Fenstern) die Opfer in Durchgangs- oder gleich in Vernichtungsanstalten. Bei den Letzteren werden besondere Standesämter eingerichtet, die die Todesurkunden ausfertigten. Die zuletzt gegründete „Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten“ wickelt die Kosten und Finanzprobleme ab und sorgt für eine großzügige Selbstfinanzierung der „Aktion T 4“.

Quelle: Jensch, Hugo: Euthanasie-Aktion „T 4“ Verbrechen in den Jahren 1940 und 41 auf dem Sonnenstein in Pirna, Feb. 1990, S. 3, 4

Oktober 1939

Es erfolgt die Erfassung aller Heil- und Pflegeanstalten durch das Reichsinnenministerium. Im Oktober 1939 gehen die Meldebogen auch in Kleinwachau ein. Wiederholt ist eine vierköpfige Kommission aus dem Reichsministerium des Inneren zur Ausfüllung der Meldebogen anwesend.

Ilse Kluge, 1941 Patientin in Kleinwachau und später Mitarbeiterin, berichtet in ihren Lebenserinnerungen darüber. Um den nachgesprochenen Text anzuhören, klicken Sie bitte auf dieses Video:

1940

Die Innere Mission versucht durch Verlegung von Heim zu Heim die Bewohner ihrer Pflegeheime vor dem Transport in staatliche Heime zu retten. So kommen 31 Kinder aus dem Katharinenhof Großhennersdorf nach Kleinwachau. Dadurch ist Kleinwachau Ende 1940 mit über 160 Bewohnern überfüllt.

Am 12.11.1940 werden 11 Kinder aus Kleinwachau in die Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz verlegt.

Am 28.11.1940 treffen zwei Autobusse in Kleinwachau ein. Sie bringen 44 Kleinwachauer Bewohnern in das Selektionslager Arnsdorf. Am Tag vor der Verlegung aus Kleinwachau entsteht noch dieses Foto:

27.11.1940 Mädchengruppe
27.11.1940 Mädchengruppe

Die Landespflegeanstalt Arnsdorf fungiert als Zwischenanstalt und hat die Aufgabe, die Verlegung der Patienten zu verschleiern. Von Arnsdorf aus werden sie später in die Tötungsanstalt Sonnenstein in Pirna verlegt.

Schwester Margarete Herold, zu dieser Zeit Diakonisse in Kleinwachau, erinnert sich an den Verlagerungsprozess. Als Zeitzeugin spricht sie in einem Interview über ihre Erinnerungen. Klicken Sie bitte auf dieses Video:

1941

Im August 1941 wird die Massentötung Geisteskranker durch einen Befehl Hitlers abgebrochen. Außen- und innenpolitische Gründe, Protestbriefe verschiedener Persönlichkeiten, u. a. von den Pastoren Braune und Bodelschwingh, sowie Kardinal von Galens Sonntagspredigt (03.08.1941) veranlassen die faschistische Führung zum Abbruch. Auch immer mehr Angehörige protestieren. Unruhe und Gerüchte in der Umgebung einiger Anstalten verstärken sich. Der Abbruch der Vergasungsaktion im August 1941 bedeutet jedoch keinesfalls das Ende der Euthanasieverbrechen. Deren Fortsetzung erfolgt bald in ausgewählten Heil- und Pflegeanstalten durch speziell „ermächtigte Ärzte“ der „T 4“ – Zentrale. Man geht zur gezielten Einzeltötung der Patienten über. Dazu werden die Kranken durch Hungerrationen „niedergeführt“, damit ihre Körper weniger widerstandsfähig sind, wenn man sie mit Morphium, Luminal, Trional oder Paraldehyd tötet. Zu den ausgewählten Anstalten gehört Großschweidnitz.

In Kleinwachau werden weiterhin Kranke aufgenommen. Wegen der Beschlagnahmung des Pflegeheims Bethesda in Radebeul bringt Ende Juli 1941 Schwester Anna Halbritter 12 Kinder nach Kleinwachau.

1942/1943

Im Winter 1942 reisen erneut Gutachter der „Aktion T 4“ durch die sächsischen Anstalten. Im Bericht über diese „Gutachterreise“ vom 18.02.1943 schreibt der Euthanasiearzt Dr. Wischer über die Einrichtung:

„Klein – Wachau bei Radeberg, Epileptikeranstalt, Besitzer Innere Mission Bettenzahl: 160, voll belegt, 15 ha Land, vorwiegend Epileptiker, nur vereinzelt schwachsinnige Insassen, macht gut geleiteten Eindruck“.Euthanasiearzt Dr, Wischer

Margot Reukauff, Lehrerin in Kleinwachau, erinnert sich an die „Gutachter-Delegationen“. Um den nachgesprochenen Text anzuhören, klicken Sie bitte auf dieses Video:

 

 Kleinwachau wird aufgelöst 

Die Anordnung zur Auflösung der Anstalt Kleinwachau trifft ein. Im Anschluss an den Abschiedsgottesdienst werden am 23.05.1943 80 Kinder und Erwachsene aus Kleinwachau in Bussen in die Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz gebracht. Weitere 51 Bewohner können in Kemnitz, Oppach und Dresden – Loschwitz untergebracht werden. Deren Rettung ist gelungen.

Von den 80 Kleinwachauer Bewohnern, die am 23.05.1943 nach Großschweidnitz verlegt werden, sterben 60, zehn werden nach Hause entlassen, sieben Schicksale sind unbekannt und drei leben später wieder in Kleinwachau. Eine der Überlebenden ist Marianne Kühn. In ihren Erinnerungen beschreibt sie diese schwere Zeit. Um den nachgesprochenen Text anzuhören, klicken Sie bitte auf dieses Video:

1943-1945

Die Nationalsozialisten besetzen das Gelände und nutzen es als Landesjugendhof für Schwererziehbare. Die Diakonisse Frieda Böhme bleibt als einzige standhaft auf ihrem Posten als Wirtschafterin in der Landwirtschaft.

1945
  • Am 13.02.1945 wird das Haus Böhme in Dresden–Loschwitz ausgebombt. Die Kinderabteilung muss nach Kleinwachau zurückkehren und wohnt vorübergehend in der Schäferwohnung, welche heute ein Privathaus ist.
  • Am 20.02.1945 treffen die Frauen von der Oppacher Ausweichstelle in Kleinwachau ein. Sie sind aufgrund der sich nähernden Front in Oppach nicht mehr sicher und finden Unterkunft in der Herzheilstätte auf der Schönen Höhe.
  • Im April 1945 flieht der Landesjugendhof und zerstört die Inneneinrichtung der Häuser.
  • Am 07.05.1945 kommt der Räumungsbefehl für Kleinwachau und Liegau. Die Schwestern fliehen mit den Patienten bis nach Pirna und treffen dort auf die Rote Armee. Sie dürfen zurück und kommen nach zwei Tagen wieder im geplünderten Kleinwachau an.
  • 25.05.1945 gelingt es den Diakonissen unter großem persönlichem Einsatz das Mädchenhaus bewohnbar zu machen. Die Kinder aus der Schäferwohnung ziehen ein. Abends kommt eine Gruppe der Roten Armee und besetzt die anderen vier Häuser, gibt das Berghaus aber schnell wieder frei.

 

 Weit mehr als 100 Bewohner Kleinwachaus sterben durch das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten. Es bleibt unsere Verantwortung, der Opfer zu gedenken. 

  1933  /  Arbeit, Wohnen  /  Zuletzt aktualisiert 27. Januar 2015 von Kleinwachau  / 

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